Die Aufnahme von ca. 25.000 syrischen Flüchtlingen bringt Deutschland an den Rand des Ruins. Zumindest, wenn ich den Aussagen glauben soll, die ich in den letzten Wochen gelesen und gehört habe. Leider auch aus meinem näheren und weiteren Bekanntenkreis. Wir können doch nicht immer mehr aufnehmen, wo soll das hinführen, lautet eine erst mal recht pauschale Aussage. Es ist kein Geld für Bildung, Rentner, Spielplätze etc. vorhanden, aber dafür werden Millionen ausgegeben, wird dann häufig weiter konkretisiert. Und irgendwann kommt das absolute Totschlagargument: Die nehmen uns doch nur die Arbeit weg.
Schauen wir uns dazu ein paar Fakten an. Deutschland ist ein Land mit etwas über 80 Millionen Einwohner und zählt zu den reichsten Ländern der Erde. Ok, tatsächlich sind wir »nur« auf Rang 14, aber im Verhältnis zum Libanon geht es uns hier recht gut. Der Libanon liegt auf der Liste der reichsten und ärmsten Länder weit hinter Deutschland irgendwo zwischen Rang 80 und 90. Im Libanon leben ungefähr 4 Millionen Menschen. Bisher haben sie über 1 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen. Verständlicherweise sind die Zustände dort katastrophal, nicht nur aus humanitärer Sicht, sondern gleichzeitig sind die Auffanglager hervorragende Rekrutierungsstellen für den IS. Hilfsorganisationen versuchen zu helfen, doch das bleibt der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Und was macht Europa? Am liebsten wegschauen. Ich glaube, man kann mit Recht sagen, dass die Menschen im Libanon im Verhältnis zu uns Europäern ein Problem haben.
Nehmen uns die Migranten tatsächlich die Arbeit weg? Was würde passieren, wenn plötzlich keine mehr kämen? Haben wir genügend eigene qualifizierte Arbeitskräfte, um die Lücken, die bisher die Migranten besetzen, zu füllen? Werfen wir ein Blick auf unser Gesundheitssystem, genauer auf die hier praktizierenden Ärzte. Von 1.000 Deutschen sind 4,4 praktizierende Ärzte*. Von 1.000 in Deutschland lebenden Zyprioten sind dagegen 112,5 praktizierende Ärzte. Aus Jordanien kommen 55,7, aus Ägypten 32,2 und aus Syrien immerhin noch 21,7 praktizierende Ärzte. Mehr als fünfmal soviel im Verhältnis zu uns Deutschen. Ohne die zahlreichen ausländischen Ärzte – und mit ihnen noch viele weitere segensreiche Kräfte im Gesundheitssystem – würde dieses zusammenbrechen. Das gilt nicht nur für unser Gesundheitssystem. In den meisten Branchen sieht es nicht anders aus. Statt uns aufzuregen, das Menschen aus anderen Nationen hier bei uns eine neue Heimat suchen, sollten wir lieber darüber nachdenken, was dort für ein Potenzial verborgen liegt und diese Chancen zum Wohle aller nutzen.
Glücklicherweise findet in manchen Unternehmen langsam ein Umdenken statt. Die Erkenntnis, dass Diversity in der globalen Welt im internationalen Wettbewerb kein Nachteil ist, sondern zum entscheidenden Vorteil werden kann, setzt sich immer mehr durch. Denn Diversity bringt uns nicht nur einen kulturellen Reichtum, sondern auch neue Ideen, Kreativität und einen Intelligenzgewinn, der auf lange Sicht den wirtschaftlichen Erfolg nach sich ziehen wird und uns alle zugute kommen kann. Migranten, die hier in Deutschland eine zusätzliche Ausbildung erhalten und neues Wissen und Fähigkeiten erlernen, kehren womöglich eines Tages in ihre Heimatländer zurück. Dort können von den gut ausgebildeten Rückkehrern viele Einheimische lernen und auf lange Sicht wird die gesamte internationale Gemeinschaft davon profitieren. So können ganz neue Formen des Know-How-Transfers entstehen. Gute Ideen aus den ärmeren Ländern kommen zu uns, werden weiterentwickelt und kehren wieder zurück. Und so fort.
Dazu zeigen bereits aktuelle Studien, dass Unternehmen mit einer hohen Diversity mental erheblich breiter aufgestellt sind und so einen größeren Spielraum haben und viel schneller reagieren können.
Sollten wir unser Land daher für noch viel mehr Menschen aus dem Ausland öffnen, als wir es bisher tun?
*Quelle: Studie Global View, Zukunftsinstitut